Helmut List: „Wenn wir schon teurer sind, dann müssen wir auch besser sein.“Richard Großschädl
„Wir werden uns anpassen müssen“
Interview. AVL-Lenker Helmut List mahnt politischen Fokus auf Zukunftserzählungen ein, sorgt sich um Standortkosten und politische Mitte. Er versprüht dennoch Zuversicht.
Österreich hat ein wirklich gutes Image. Wir müssen an dieses Land glauben und ich finde keine Gründe, es nicht zu tun.“ So lautete Ihr Standortbefund in einem Interview mit uns zu Ihrem 80. Geburtstag. Wenn Sie heute auf dieses Land blicken und auf die Verwerfungen. Halten Sie, kurz vor Ihrem 83. Geburtstag, fest an Ihrem damaligen Befund?
HELMUT LIST: Jedes Land hat geschichtliche Phasen, in denen es erfolgreich und weniger erfolgreich ist. Aber ich zweifle nicht daran, dass wir in Österreich und auch in Deutschland durch diese Phase durchkommen werden. Nur, wir werden uns anpassen müssen.
Woran anpassen?
An bestimmte Kostenverhältnisse. Die Löhne sind in den letzten Jahren sehr stark erhöht worden. Das ist ja schön, wenn man es sich leisten kann. Aber es hat halt Nachteile, die uns jetzt wehtun. Die Frage ist, wie kommen wir da raus? Ich glaube, es ist entscheidend, alles, was mit Produktivität und Innovation zu tun hat, wirklich konsequent voranzutreiben. Wenn wir schon teurer sind, dann müssen wir auch besser sein.
Wie ist es nun um das Image des Standorts bestellt, der ja in Sachen Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Produktivität nach unten durchgereicht wurde?
Derzeit leidet das Image natürlich, aber das bedeutet nicht, dass wir nicht wieder in eine gute Position kommen können, das müssen wir auch, um uns mit anderen Ländern messen zu können. Das gilt für Österreich und für Europa.
Machen Sie sich Sorgen um dieses Europa?
Naja, natürlich macht man sich Sorgen. Die hohen Kosten sind eine Herausforderung, das möchte ich nicht wegwischen. Das fordert uns heraus, wir müssen als Antwort darauf Anpassungen durchführen und mit einigen Aktivitäten auch in Niedriglohnländer gehen, damit der Mix stimmt. Das machen praktisch alle europäischen Unternehmen. Sie nutzen auch zusätzliche Ingenieurs- und Arbeitskraft anderer Länder, um dann im Schnitt effizienter zu sein. Wir brauchen mehr Flexibilität, mehr Anpassungsfähigkeit und mehr Wissen. Niemand kann zaubern. Wir müssen das Geld auch verdienen, denn wir stehen im internationalen Wettbewerb.
Welche Standortsignale erwarten Sie von der neuen Regierung?
Es ist weiterhin wichtig, Initiativen in den Bereichen Forschung und Technologie zu setzen. Ich bin überzeugt, dass das der einzig richtige Weg ist. Es geht aber auch um eine neue Dimension von Zuversicht und Wissen um unsere Stärken. Wir müssen uns viel stärker mit Zukunftserzählungen, mit der Frage, wie kommen wir gut voran, beschäftigen. Standortpolitisch brauchen wir einen konstruktiven Blick nach vorne, Verfahrensdauern kürzen und bürokratische Hürden abbauen.
Stichwort Anpassungen. Auch AVL musste nach vielen Jahren des Personalwachstums, Einschnitte am Standort Graz vornehmen. 70 Kündigungen und 130 eingesparte Stellen. Ist mit weiteren Maßnahmen zu rechnen?
Wir haben in diesem Jahr einige Anpassungen vorgenommen, die Zeiten sind schwieriger, das war leider notwendig. Wie es 2025 sein wird, lässt sich nicht hundertprozentig voraussagen, wir beobachten das genau. Wir sehen jetzt aber keine größere Anpassung im nächsten Jahr. Gleichzeitig müssen wir wichtige Standorte, die niedrigere Kosten haben, etwa in Indien, weiter ausbauen. Aber das haben wir schon in den letzten Jahren schon gemacht, sonst würden wir heute gar nicht da stehen, wo wir stehen. Klar ist aber, dass Graz immer das Zentrum für uns bleiben wird.
Nach der US-Wahl wird vor einer neuen Ära des Protektionismus gewarnt. Eine Gefahr?
Ich finde es einfach sehr bedauerlich, dass diese Tendenz, die zum Teil schon überwunden schien, so wiederkommt. Das ist nicht gut für die Welt, das ist für niemanden gut.
Und für AVL?
Uns trifft das weniger stark, wir sind in den USA mit einem guten Team auch sehr etabliert, können dort Entwicklungen von Batterien und von ganzen E-Antriebssystemen durchführen, sind also sehr aktiv, haben auch unsere Führung gerade erneuert. Aber Europa muss in der Technologie, in der Forschung und der Effizienzentwicklung wirklich schnell vorankommen. Das gilt auch für uns als AVL, wir müssen weiter daran arbeiten, Projekte schnell und effizient umzusetzen.
Wie gelingt das?
Wir setzen stark auf Simulationen mit sehr fortschrittlicher Software für unsere integrierte Entwicklungsplattformen, so können wir schneller und besser sein, auch bei hochkomplexen Systemen. Das ist unser ureigenstes Geschäft . . . Es geht dabei auch um eine Paarung zwischen künstlicher Intelligenz und menschlicher Intelligenz, das muss kombiniert und balanciert werden.
In welchen Geschäftsfeldern?
Wir müssen alle Wege beschreiten. Wir haben als Unternehmen auch die Energiekonversion im Blick und sind in effizienten Verfahren für die Herstellung von Wasserstoff involviert. Ebenso sehen wir neue Entwicklungen bei Verbrennern bzw. Hybriden, die jetzt zum Teil wieder verstärkt aufgenommen werden, um auch hier das Letzte an CO2-Einsparungen herauszuholen. Das ist aber genauso wichtig wie batterieelektrisch und nachhaltig zu produzieren.
Das große V in AVL, also für Verbrennungskraftmaschinen, hat nach wie vor seine Berechtigung?
Es hat einen Anteil. Wir alle müssen uns von den fossilen Energien befreien, es ist aber wichtig zu verstehen, dass es ebenso ein Fortschritt ist, für dieselbe Leistung weniger fossile Energie zu verbrauchen und damit CO2 zu reduzieren. Wenn man das nicht respektiert, verzichten wir auf einen ganz wichtigen Weg, CO2 zu reduzieren, das können wir uns nicht leisten.
Hadern Sie mit der ideologisch geführten Debatte über Elektromobilität, fossile Kraftstoffe und synthetische Kraftstoffe?
Man muss ein bisschen nüchterner denken. Wenn man weiß, dass man fossile Kraftstoffe ohnehin noch eine lange Zeit brauchen wird, dann muss ein anderer Ansatz verfolgt werden: Wie gehe ich effizient damit um? Man wird sie nicht über Nacht los. Batterien und der E-Antrieb sind an sich extrem wichtige Bestandteile der Mobilität, das ist überhaupt keine Frage. Dazu tragen wir bei AVL auch bei. Trotzdem glaube ich weiterhin, dass es gut ist, wenn wir ein Netzwerk haben, das Elektromobilität, aber auch chemische, flüssige Energieträger beinhaltet, weil sie die Möglichkeit bieten, langfristig Energie speichern zu können. Der Engpass ist grüne Energie, daher müssen wir mehrdimensional denken und handeln.
Wie schwierig ist es für die forschungs- und entwicklungsstarke AVL, in all diesen Bereichen Angebote zu liefern?
Das haben wir in der Vergangenheit schon gemacht, arbeiten seit 20 Jahren an neuen Entwicklungen. Ob das die Brennstoffzelle ist, Hybrid-Antriebe, der Elektroantrieb in all seinen Spielarten …
. . . Sie müssen demnach auf allen technologischen Hochzeiten tanzen?
Nicht auf allen, aber auf allen wichtigen. All jene, die große Potenziale für Nachhaltigkeit und für Weiterentwicklungen haben. Da haben wir in der Vergangenheit viel vorangetrieben und ich bin überzeugt, dass wir da in Zukunft noch viel mehr bewegen werden. Ein wichtiger Teil für uns ist auch, dass wir unser langjähriges Wissen aus der Brennstoffzelle genutzt haben, um den umgekehrten Weg zu gehen und Elektrolyseure mit sehr hohem Wirkungsgrad entwickelt haben – wir haben auf diesem Gebiet der Energieerzeugung für Wasserstoff viele Patente.
Ist das auch eine der Antworten auf die Herausforderungen in der Automobilindustrie?
Der Automobilbereich ist vielleicht besonders betroffen von den technologischen Weiterentwicklungen. Für uns bei AVL sehen wir in den Veränderungen auch einen Vorteil, wir leben von Veränderung und haben Gott sei Dank auch rechtzeitig reagiert und können auf diesen Entwicklungen aufbauen.
Sie sind global tätig. Jetzt hat diese Steiermark in der Landeshauptstadt Graz eine kommunistische Bürgermeisterin und das Land bald einen freiheitlichen Landeshauptmann. Wie erklären Sie das Ihren weltweiten Partnern?
Wir leben in einer Demokratie und wenn die Menschen so entscheiden, soll man das so zur Kenntnis nehmen. Wir müssen, wie immer das ausschaut, gut zusammenarbeiten. Das ist der Schlüssel.
Aber sorgen Sie sich, dass die politische Mitte völlig wegbricht?
Das ist schon richtig, da hat man schon etwas Angst, die Mitte ist wichtig, sie sorgt für eine Balance, von ihr kann man sich auf beide Seiten bewegen, an den Rändern ist man eingeengt. Das gilt für alle.
Sie kennen Stefan Pierer lange und gut, er ist auch Partner und Kunde. Wie erleben Sie seine KTM-Insolvenz?
Das macht mich betroffen. Er ist ein Mann, der viel bewegt hat . . . Ich hoffe, dass er in die Balance zurückfindet. Er bleibt für mich ein guter Unternehmer und ich wünsche mir, dass er die Chance erhält, das unter Beweis zu stellen.
Zur Person
Helmut List, geboren am 20. 12. 1941 in Graz geboren. An der TU Graz studierte er Maschinenbau und übernahm 1979 die Führung der von seinem Vater Hans gegründeten AVL List. Verheiratet mit Kathryn, vier Kinder.
AVL List: weltweit 90 Standorte, 50 Entwicklungszentren, 12.200 Beschäftigte (4100 in Graz). Umsatz 2023: 2,05 Milliarden Euro.