„Es gibt Schüler, die den Hitlergruß zeigen“

INTERVIEW. Gewalt, Radikalisierung und Rechtsextremismus an Schulen steigt. So versucht das neue mobile Kriseninterventionsteam zu handeln.

Von Verena Schaupp

Wie viele Anfragen gab es im ersten Jahr?

 

Von März bis Juli 2024 waren es 65 Meldungen von Schulen, seit Herbst haben sich 95 Schulen gemeldet, mit 110 Fällen. 70 Prozent davon betreffen Gewalt in jeder Form, die anderen 30 Prozent sind mögliche Radikalisierungen. Wir treten mit den Schulen in Kontakt, fahren hin und versuchen, Lösungen zu finden. Es gibt Fälle, wo ein Kind seit Wochen ein anderes Kind schlägt oder ein Bub greift einem Mädchen ungefragt zwischen die Beine oder frauenfeindliche Aussagen werden getätigt. Wir ermutigen Schulen, sich zu melden.
Meist ist eine extremistische oder religiöse Tendenz vorhanden. Das hat natürlich enorme Auswirkungen. Unser Angebot ist sehr niederschwellig. Zusätzlich haben wir auch ein Team, das Suspendierungsbegleitung macht. In diesem Semester hatten wir schon 40 Suspendierungen, ein Allzeit-Hoch.

Welche Problemfelder überwiegen in den steirischen Schulen?

 

Wir haben Schüler mit Migrationshintergrund, die hinter der Lehrerin stehen, die Hand heben und „Heil Hitler“ sagen. Und das in Volksschulen. 60 Prozent der Meldungen sind zwar in Mittelschulen, aber auch 20 Prozent in Volksschulen und 20 Prozent in Gymnasien oder höheren Schulen. Es gibt auch ein starkes Stadt-Land-Gefälle. Rechtsradikales Verhalten passiert mehr im ländlichen Bereich, das konfrontativ-religiöse eher im städtischen Bereich. Wir haben den Vorteil, dass Edna und ich selbst Lehrkräfte sind. Und Jawid Karimi – er ist Teil unseres Teams – ist Sozialarbeiter.
Ich habe bosnische Wurzeln, Jawid afghanische. Und wir decken als Team mehrere Sprachen ab, das hilft sehr bei den Gesprächen mit den Schülern und Eltern.
Wir unterstützen, beraten, verweisen an Beratungsstellen. Wir merken auch bei Junglehrern einen enormen Druck, sodass manche nach ein paar Wochen kündigen. Weil etwa ein Kind der Lehrerin nicht die Hand gibt, weil sie eine Frau ist. Mit 90 von 600 steirischen Pflichtschulen hatten wir bis jetzt zu tun.

Volksschulen sind bereits betroffen?

 

Es betrifft immer mehr Junge. Volksschulkinder schicken sich in TikTok-Gruppen Hackenkreuze, das kommt vor. Wir haben genauso österreichische Mädchen, die auf einmal nach der Scharia leben wollen, wieder andere Kinder zeichnen NS-Symbole. Ein Riesenthema sind soziale Medien – da braucht es mehr Verbote – und das Elternhaus. Es braucht mehr Elternarbeit.
Und mehr Aufklärungsarbeit bei Kindern, was Fake News sind und was dieser digitale Konsum anrichtet.

Wissen die Kinder, was sie tun?

 

Sie sind auf der Suche nach Struktur, nach Orientierung. Die finden sie dann auf TikTok. Sie verbringen ja Stunden am Handy, dadurch verlieren sie soziale Kompetenzen, können Konflikte nicht mehr lösen. Digital können sie sich einfach blockieren, im realen Leben gehören Konflikte aber manchmal ausgestritten. Da brauchen sie extreme Unterstützung von Lehrpersonen oder von uns.
Wenn ein Kind in der Klasse ein Video verschickt, wo jemand geköpft wird, oder ein Gewaltvideo, wo ein Bub ein Mädchen die Stiegen hinunter tritt, erreicht das vielleicht ein anderes Kind, das noch nie mit Gewalt konfrontiert war. Was macht das mit diesen Kindern?

Was schockiert Sie am meisten?

 

Dass viele Kinder so abgestumpft sind. Es ist für viele so normal, Gewaltvideos oder rechtsextreme Symbole zu verschicken.
Es ist wichtig, mit den Kindern in Beziehung zu treten, damit es nicht zu einer Radikalisierung kommt.

Wie ist der Unterschied zwischen Stadt und Land?

 

: In der Stadt gibt es Klassen mit 90 Prozent Migrationshintergrund, das kann nicht funktionieren, es müsste besser verteilt werden. Am Land hat man zwar keine Ausländer in der Klasse, aber trotzdem Vorurteile.
Wir hatten einmal Schüler, die meinten: Alle, die keinen Dialekt sprechen, gehören raus aus Österreich. Dann komme ich mit meinem obersteirischen Dialekt und es stellt sich heraus, Deutsch ist nicht meine Muttersprache, da sind sie irritiert.

Wie funktioniert der neue verpflichtende Förderunterricht?

 

Er zielt auf Wertevermittlung, Normenverdeutlichung und Konfliktbewältigung ab. Wir haben ein Stundenkontingent und wenn die Schulen es wollen, können wir Einzelschüler zwingen, an solch einem verpflichtenden Förderunterricht teilzunehmen.
Aktuell findet der Förderunterricht an 16 Schulen mit 150 Kindern statt.

Was braucht es noch?

 

Es wäre wünschenswert, dass es mehr Schulsozialarbeiter und mehr moderne Lehrpersonen mit Migrationshintergrund gibt. Und diese Themen gehören in die Lehrerausbildung und -fortbildung.

Mehr Info

Das mobile, schulische Kriseninterventionsteam wurde von Ex-Bildungslandesrat Werner Amon initialisiert und ist bei der Schulpsychologie angesiedelt.

Kontakt: 0664/8034555777, radikalisierung@bildung-stmk.gv.at